Sonntag, 30. September 2018

Es zieht sich hin

3.9.14

Es zieht sich hin. Zusammenbrüche im Rollstuhl, anschliessend zerknirschtes Personal wechseln sich ab. 
Angst und Schmerzen sind nach wie vor ungenügend behandelte, ständige Begleiter. 

Irgendwie sind wir beide, Mutter und ich, je in andersartiger Gleichheit traumatisiert. 

Nachdem ich erneut mit aller Vehemenz und ärztlicher Unterstützung medikamentöse Schmerzfreiheit und Angstbehandlung durchgesetzt habe, und heute am Bett Zeuge davon wurde, welches Spiel meine Mutter mit mir und der Heimleiterin immer noch spielt, bin ich seelisch und körperlich komplett erschöpft. Meine Enttäuschung ist grenzenlos. Der Schmerz hat nur kurz mein Herz berührt, die Herzmauer ist wieder aufgerichtet.

Während ich, wie seit vielen Nächten gewohnt, am Bett die jeweils vor dem Einschafen einsetzende Angstphase von I. aushalte, wird mir klar, dass ich aus Selbstschutz wieder eine Besuchspause einschalten muss, egal, wie sich der Zustand meiner Mutter verändern wird. Ich muss in Kauf nehmen, dass I. allein stirbt (was eher ihrem Naturell entspricht, als ein Abgang “im Beisein der Familie“).

Unser Schweigen wird nur durch das gelegentliche Vorbeischauen der Nachtwache unterbrochen.

Gegen Mitternacht verabschiede ich mich von Mutter und sage ihr, dass ich am nächsten Tag nicht kommen werde. Sie nimmt es zur Kenntnis. Es scheint mir, als ob mir da etwas Trotz entgegen komme... was ich verstehen könnte, denn ich bin mir sicher, dass I. gespürt hat, dass ich sie durchschaut habe.

Den 4.9. halte ich reserviert für mich ganz allein. Ich sage alle Termine ab und gehe mit dem Junghund auf einen ausgedehnten Spaziergang.

Hier in der Natur mache ich eine Auslegung aller meiner Kümmernisse, Sorgen, Seelenschmerzen, Befürchtungen usw., lasse alle Gefühle zu. 
Die aufgestaute Wut, Hilflosigkeit und Enttäuschung sowie dieses zermürbende Gefühl des Nichtgenügenkönnens.

Schliesslich gelingt es mir, tief im Innern alles, wirklich alles zu verzeihen, was einem tiefen Frieden Platz macht. Befreit kehre ich heim, wo ich für ein paar Stunden in einen heilsamen Tiefschlaf sinke.

Ich beschliesse, morgen Freitag, 5.9., Mutter ein letztes Mal zu besuchen, mich von ihr zu verabschieden und ihr dabei auch alles zu sagen, was mir wichtig, heilsam und erlösend erscheint. Ich will mein ganzes therapeutisches Wissen und Können anwenden, um Mutter und mir einen friedvollen Abschied zu ermöglichen.